Ab 4. Juni 2016 gab es in der Predigerkirche Erfurt eine Ausstellung „Haken am Kreuz? Evangelische Kirche in Erfurt 1933 – 1945“ des Kirchenkreises Erfurt, ergänzt um weitere und vertiefende Erkenntnisse über die Situation der Erfurter Predigergemeinde. Wegen des großen Interesses wurde die Ausstellung bis zum 2. August 2016 verlängert.
Die Ausstellung widmete sich mittels Tafeln, Vitrinen und zweier Audio-Stationen folgenden Themenfeldern:
Das Projekt wurde auch im Rahmen einer Ausstellung des "Lokalen Aktionsplans gegen Rechtsextremismus der Stadt Erfurt/Partnerschaft für Demokratie" in der Galerie im Erfurter Rathaus und im Rahmen des Kirchentages auf dem Wege 2017 in Erfurt präsentiert.
Auf dieser Webseite archivieren wir für Interessierte die Tafeln und die Audio-Stationen der Ausstellung.
Nach den der Projektgruppe zur Verfügung stehenden Quellen ergibt sich folgendes Bild für die Predigergemeinde in der Zeit des Dritten Reiches.
Die GKR-Protokolle als Hauptquelle dieser Zeit geben nur einen eingeschränkten und gefilterten Einblick. Wichtige Ereignisse wurden zwar erwähnt, aber selten ausführlicher dargelegt. Vertiefende Erkenntnisse waren anderen Quellen zu entnehmen. Während kirchenpolitische Auseinandersetzungen eine Rolle spielten, blieben Marksteine wie die Nürnberger Gesetze und die Reichspogromnacht völlig unerwähnt. Das Schweigen zur Verfolgung der Juden bettete sich in das allgemeine Verhalten der evangelischen Kirche im Deutschen Reich ein.
Auch in den Gemeindeblättern tauchten kirchenpolitische Themen auf. So wurde die Abgrenzung gegen die Deutschen Christen und die Deutsche Glaubensbewegung thematisiert, wobei der NS-Staat als solcher keine Kritik erfuhr. Als jedoch staatliche Maßnahmen, wie hier konkret der Vier-Jahres-Plan mit seinen Auswirkungen für die Bauern, infrage gestellt wurden, kam es zum Verbot der Blätter. In Fragen der Kindererziehung gab es in den Ausführungen nur graduelle Unterschiede zur staatlichen Methodik. Die konservative, nationalprotestantische autoritäre Ausrichtung dominierte. Der unbedingte Gehorsam stand im Vordergrund und leistete der absoluten Gefolgschaft im NS-Staat Vorschub.
Eindeutig war die Positionierung der Predigergemeinde in den innerkirchlichen Auseinandersetzungen. Sie wurde nicht von ungefähr von der Gestapo beobachtet. An ihrer Spitze waren in der NS-Zeit mit den Pfarrern Kletschke und Dr. Gloege zwei Pfarrer der Bekennenden Kirche (BK), die aus ihrer kirchenpolitischen Haltung keinen Hehl machten. Der schon 30 Jahre an der Predigergemeinde wirkende Kletschke stellte der BK die Predigerkirche zur Verfügung und engagierte sich für die dann polizeilich verbotene „Evangelische Woche“. Auch die Predigt des wohl prominentesten BK-Pfarrers Martin Niemöller im November 1936 ist ohne Kletschkes Zustimmung undenkbar. Der GKR wies das Ansinnen des Deutsche-Christen-Seniors Kurz zurück, Kletschke kirchenpolitische Abkündigungen zu verbieten. Kletschke wurde später sogar kurzzeitig in Haft genommen, als er zunächst vorhatte, eine Erklärung der Bekennenden Kirche im Gottesdienst zu verlesen. Auch die Wahl von Dr. Gloege zum 2. Predigerpfarrer Ende 1938 stellt ein gewichtiges Zeichen der kirchlichen Ausrichtung dar. Denn dieser war zuvor Leiter eines BK-Predigerseminars gewesen und seit 1937 mit Reichsredeverbot belegt, später erhielt er auch ein Publikationsverbot (1940).
Die Gemeinde wehrte sich zudem gegen Eingriffe des Staates bzw. der Stadt. So werden Bestrebungen verhindert, im Predigerkloster eine NS-Weihestätte zu Ehren Meister Eckhardts als Kronzeugen einer spezifisch germanischen Weltanschauung einzurichten. Auch gegen die Nutzung des Predigerkellers als Luftschutzrettungsstelle gab es Widerstand. Dies war zwar erfolglos, einen Vertrag mit der Stadt hat sie jedoch nie unterschrieben. Vergebens blieb ebenso der Widerstand gegen die Übernahme des Prediger-Kindergartens im Februar 1941 durch die „Nationalsozialistische Volkswohlfahrt“.
Als nach Kriegsbeginn der sogenannte „Burgfrieden“ zwischen Kirche und Staat geschlossen und der Alltag durch den Krieg bestimmt wurde, spielten kirchenpolitische Auseinandersetzungen kaum noch eine Rolle. Am Umgang mit den holländischen Zwangsarbeitern, die Anschluss an die Predigergemeinde suchten, offenbart sich ein Gegensatz zwischen dem Pfarrer und seiner Gemeinde. Während sich Dr. Gloege mit seiner Familie intensiver als eigentlich staatlicherseits erlaubt um die Zwangsarbeiter kümmerte, verhielten sich die meisten Gemeindemitglieder sehr reserviert.
Pfarrer Gloege gab zwar 1938 eine Anerkenntnis-Verpflichtung gegenüber der Deutsche-Christen-Kirchenleitung in Magdeburg ab, sich kirchenpolitischer Äußerungen zu enthalten. Trotzdem lebte er weiter seine Überzeugungen. Beispielsweise hatte er enge Kontakte zur Familie des inhaftierten und später hingerichteten Pazifisten Felix Kaszemeik und zum jüdischen Arzt und späteren KZ-Häftling Dr. Lebram. In seinen Predigten ging er über die Kritik an der Einmischung des Staates in kirchliche Angelegenheiten hinaus und thematisierte Tabus wie die Schrecken des Krieges und die „Euthanasie“-Morde.
Die Predigergemeinde war kein Hort des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus. Allerdings war sie – durchaus auch mit Erfolg – bestrebt, sich im Kirchenkampf zu behaupten und sich den Eingriffen des Staates in innerkirchliche Angelegenheiten entgegenzustellen. Dass dabei auch Kompromisse eingegangen wurden und damit auch öffentliches Schweigen über Verbrechen des Staates in einer den Alltag bestimmenden Diktatur einherging, darf dabei nicht verschwiegen werden.
Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft!
Wilhelm von Humboldt
Im Jahr 2014 wurde nach der Wanderausstellung des Evangelischen Kirchenkreises Erfurt unter dem Titel „Haken am Kreuz?“ der Wunsch geäußert, diese Ausstellung auch in der Predigerkirche zu zeigen und um weitere Zeugnisse aus der eigenen Gemeinde zu ergänzen. Es interessierte die Frage, wie sich Anpassung an und Widerstand gegen das nationalsozialistische Gedankengut in der Gemeinde niederschlugen.
So fanden sich im September 2014 sieben Gemeindemitglieder zu einer Arbeitsgruppe zusammen.
Mehr als achtzig Jahre nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten gestalteten sich die Nachforschungen nicht einfach. Würden sich noch Zeitzeugen oder auskunftsfähige Nach-fahren finden lassen? Was geben die handschriftlich in Sütterlin verfassten Protokolle des Gemeindekirchenrates her? Was verraten die Gemeindeblätter über das damalige Denken? Was verbirgt sich außerdem im Archiv der Predigergemeinde?
Im Fokus stand die Zeit von der Machtergreifung Hitlers 1933 bis zum Ende des Krieges 1945. In einem historischen Überblick werden die geschichtlichen Ereignisse im Land und speziell in der Predigergemeinde dargestellt. In fünf Themenfeldern, die sich aus dem Recherchematerial herauskristallisiert haben, wird die konkrete Situation in der Predigergemeinde beleuchtet.
Wie schlugen sich der sogenannte „Kirchenkampf“ und die nationalsozialistische Kirchenpolitik in der Gemeinde nieder? Wie nutzten Pfarrer und Gemeindeglieder ihre Handlungsspielräume innerhalb des politisch aufgezwungenen Korsetts? Wie spiegelten sich Ereignisse der Stadt in der Gemeinde wider? Was haben niederländische Zwangsarbeiter mit der Predigergemeinde zu tun? Wie wuchsen Kinder und Jugendliche heran, welchen Einflüssen waren sie im Prediger-Kindergarten und im Religionsunterricht ausgesetzt?
Nach fast anderthalb-jähriger Arbeit konnten die Ergebnisse im Sommer 2016 in der Predigerkirche gezeigt werden. Hörstationen ergänzten die Tafeln und Vitrinen mit Originaldokumenten. Eine 64-seitiges Begleitheft rundete die Ausstellung ab.
Ein Anliegen war es, die Geschichte lebendig zu halten. als Spiegel, in den wir immer wieder schauen sollten. Diesen Spiegel müssen wir auch unseren Nachkommen vorhalten, zur Orientierung in ihrem eigenen Leben, zum Bewahren der Erinnerung, auf dass sie daraus lernen und wir alle niemals vergessen.
Die Arbeitsgruppe „Haken am Kreuz“